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Derek Albert Brand
#1
Derek Albert Brand
Eine biographische Skizze

Wer war eigentlich jener Mann, der das sogenannte „H0-Slotcar“ zum Massenprodukt machte? Eine Geschichte über Visionäre, Amokläufer, Multimillionäre, Spione, Kunststoffe, Diebe und Liebe. Nebst einem Anhang, in dem man allerlei über die südenglische Schlafstadt Woking erfährt.  

Die Anfänge sind schnell erzählt: Weil der junge Brite Derek Albert Brand (*1926) in den USA für seine Zukunft größere Chancen sah, übersiedelte er 1949 aus dem tristen Nachkriegs-England ins kalifornische Seebad Santa Barbara. Dort, an der „Amerikanischen Riviera“, residieren seit jeher die Filmstars - damals Charlie Chaplin, heute Kevin Costner, Tom Cruise, Jennifer Lopez und viele andere.

Brand machte in Santa Barbara sein Glück. Er traf eine junge Dame, namens Cartha, heiratete sie und hatte mit ihr drei Kinder. Für Kalifornien eher untypisch, hielt ihre Ehe ein Leben lang.

Auch beruflich hätte es nicht besser laufen können. Zwar ging sein erster Arbeitsgeber bald pleite, aber bei der anschließenden Jobsuche geriet Brand an einen ideenreichen Landsmann: John Pinkney Gowland. Der war ebenfalls kurz zuvor nach Santa Barbara emigriert und besaß dort inzwischen ein kleines Unternehmen im Aufwind. Gowland fragte, ob Brand für ihn Spielzeug bauen könne?


Der Maxwell

John Gowland (sein Mittelname Pinkney wird verständlicherweise meist übergangen) war Werkzeugmacher und Spielzeug-Erfinder. Im südenglischen Woking – heute Firmensitz von „McLaren“ - hatte er ab 1932 „The Studio“ aufgebaut – eine  Ideenschmiede für die Entwicklung von Spielwaren und anderen Massenartikeln. Gowland erdachte Pinsel-Stifte für das Auftragen von Nagelhaut-Entferner und Dartpfeile, deren Form an die deutschen V1-Bomben erinnerte. Außerdem tüftelte er an einem Stammvater der Flipper-Automaten. Seine folgenreichste Erfindung war ein „Action Pull Toy“: ein Plastiktier auf vier Rädern, das beim Hinterherziehen Brummtöne produzierte.

Als Brand sich bei ihm bewarb, führte der USamerikanische Spielzeughandel bereits mehrere von Gowlands „Action Pull Toys“. Es gab eine Lokomotive, die beim Ziehen emsig wackelte, einen Cowboy auf einem hoppelnden Pferd und eine Ente, die „Eier“ legte. Jüngstes Produkt der Serie war ein Kunststoff-Oldtimer nach dem Vorbild eines „Maxwell“, Baujahr 1913. „Maxwell“, bei uns weniger bekannt, hatte in der Übergangszeit von Kutsche zu Auto zu den führenden US-Herstellern gezählt.

Gowlands 1:16-„Maxwell“ besaß vorne ein dünnes Kabel mit einem Drahtauslöser, wie man ihn von alten Kameras kennt. Die „Action“ bestand darin, dass das antike Schnauferl beim Druck auf den Auslöser quer durch die Mitte hochknickte, als werde es von einer Fehlzündung zerrissen. Dabei hupte es und schleuderte seinen Fahrer mit dem Kopf über die Windschutzscheibe. Zog man erneut am Bowdenzug, knallte der Fahrer zurück in den Sitz. Beim nachmittäglichen Schaulaufen am Sandkasten hatte das einen gewissen Unterhaltungswert.

Hergestellt und vermarktet wurden die „Action Pull Toys“ nicht von ihrem Erfinder John Gowland in Santa Barbara, sondern von der Firma „Precision Specialties“ im 150 Kilometer entfernten Los Angeles. „Precision Specialties“ war 1941 entstanden, als der Jungunternehmer Lewis H. Glaser eine Spitzguss-Maschine erwarb und mit dem Flugzeug-Designer Jacque Fresco einen Mitstreiter fand. Weil sie auch dröge Haushaltsartikel fertigten, schufen Fresco und Glaser für ihre Spielzeug-Produktion ein eigenes Label mit aufrüttelndem Namen. Er basierte auf dem französischen Wort für „wachrufen“: réveil. So entstand „Revell“.

Gowlands „Action Pull Toys“ verkauften sich gut – auch der buckelnde „Maxwell“. Nur was den Profit anging, gab es da einen Schönheitsfehler. Die „Action“-Funktionen des Mini-Mobils verlangten einen aufwändigen Zusammenbau und der verdoppelte die Herstellungskosten. Ab 1951 bot „Revell“ das Auto daher als Bausatz an – ohne „Action“. Dafür aber „BIG! Fun to Build... and easy too!“.

Diese Version des „Maxwell“ gilt heute als der erste Kunststoff-Modellautobausatz der Welt. Einen Kunststoff-Bausatz für ein Modellflugzeug hatte die britische Firma „Frog Penguin“ bereits 1936 auf den Markt gebracht. Das erste Modellauto aus Kunststoff-Spritzguss präsentierte die „Kilgore Manufacturing Company“ im März 1937 auf der New Yorker Spielwarenmesse.

„Kunststoff“ / engl. „plastic“ war in der USamerikanischen Spielzeugindustrie der frühen Fünfziger noch nicht wirklich „künstlich“, sondern eher „organic“, nämlich aus Baumwolle oder Zellstoff erzeugtes Celluloseacetat. Das heute im Kunststoff-Modellbau übliche Polystyrol - erfunden von der deutschen „I.G. Farben“ - existierte bereits seit 1930. Der Spielwaren-Hersteller „O-Lin“ in Chicago hatte es 1947 für einen Flugzeug-Bausatz verwendet. Der aber war wegen seiner kargen Verpackung im Handel durchgefallen. Erst als „Dow Chemical“ das Material 1962 als „Cycolac“ im US-Markt einführte, eroberte Polystyrol dort die Spielzeug-Produktion.

Auch „Revell“ benutzte für den „Maxwell“-Bausatz noch Celluloseacetat. Das gab sich beim Kleben widerspenstig und anschließend im Regal schrumpfte es. Mindestens ebenso unbefriedigend: die als Handschrift reproduzierte Bauanleitung des Oldtimers. Für das Verkleben des Kunststoffs empfahl sie Holzleim und unterschlug beim Zusammenbau zehn von 18 Arbeitsschritten. Das Stoff-Verdeck des Vorbilds hatte der Käufer aus Papier nachzuschneidern. Das ergab in keinem bekannten Fall ein auch nur akzeptables Resultat. Kurzum: der Bausatz war (zurückhaltend ausgedrückt) „ungenügend entwickelt“. - Er wurde – man ahnt es wohl bereits: ein Riesenerfolg. Trotz seiner Macken.


Highway Pioneers

Dieser Überraschungshit war der Auslöser für Derek Brand erste Entwicklungsarbeit von der wir wissen. Nachdem John Gowland ihn eingestellt hatte, schuf Brand fünf weitere Fahrzeug-Bausätze, überwiegend Oldtimer. Diese „Highway Pioneers“ waren nun nicht mehr im „Giant Scale“ 1:16, sondern in material- und kostengünstigem 1:32. Jeder hatte noch ein Kabel zum Ziehen, verzichtete aber – wie das große Vorbild - auf „Action“. Für damalige Verhältnisse bemerkenswert war die Modelltreue. Wer das Kabel wegließ, konnte die Autos auch als Regal-Schönheiten präsentieren: „Selbstgebaut...!“

„Revell“ zeigte Brands Arbeiten im Februar 1951 auf der New Yorker Spielwarenmesse. Im Juni nahm „Woolworth“ die fünf Bausätze ins Sortiment. Einzelpreis: 69 Cent.

Das veränderte alles.

Mit dem Vertrieb durch eine Kaufhaus-Kette verließ der Modellbau in den USA erstmals das Spezialisten-Ghetto der Hobby-Läden und eroberte Klebstoff-kleckernd die Kinderzimmer. Innerhalb der ersten 10 Monate verkaufte „Revell“ eine Million „Highway Pioneers“.
 
Natürlich folgten weitere, auch modernere. Insgesamt wurden es 34 verschiedene Fahrzeuge:  „All Plastic. Quick, Easy-To-Build. No Cutting, No Sanding“. Parallel zu „Revell“ in den USA, produzierte und vermarktete Gowland diese Bausätze auch unter eigenem Namen in England.

Mit den „Highway Pioneers“ hatten Gowland und Brand eine Lawine losgetreten. Der Absatz lief derart prächtig, dass sich „Precision Specialties“ völlig auf Bausätze verlegte und fortan nur noch als „Revell“ firmierte. Als man dann auch noch die Kartons der Bausätze mit faszinierenden Illustrationen zierte, besaß die Firma den unmittelbaren Zugriff auf das Taschengeld fast aller amerikanischen Jungen. In seiner Monographie „Show Rod Model Kits“ (für amerikanophile Standmodell-Bastler ein must-have!) beschreibt Autor Scotty Gosson die damalige Situation als völlig hoffnungslos: “Wenn die Konsumenten die Fische waren, dann waren Modellbau-Firmen die Haie – im gleichen Fass mit uns Fischen“. Bei einer Umfrage Mitte der Fünfziger nannten 80% der US-Boys als ihr wichtigstes Hobby „Kunststoff-Modellbau“. Marktführer war „Revell“.

Anfang der Fünfziger hatte John Gowland seinen Sohn Douglas Kelvin in das Unternehmen aufgenommen. Von „Revell“ als Qualitätsgarantie auf die Verpackungen gedruckt, trugen die „Highway Pioneers“ das Logo „Gowland & Gowland“. Es zeigte die Silhouetten dreier Ballon-Fahrer im Korb unter dem Ballon. Rechts und links im Korb: Vater und Sohn Gowlands. Die Kleinere dazwischen war Brand.

Eine Serie von Buddelschiffen zum Selberbauen wurde Brands nächster Erfolg. „Gowland & Gowland“ brachte sie 1952 unter eigenem Namen in den Handel. Auch „Revell“ nahm mehrere der Schiffe ins Programm. „Airfix“ in England kopierte eines davon (durch einen Einkäufer bei „Woolworth“ dazu angestiftet!). Und sogar diese Billigst-Kopien in ihren kargen Plastiktüten wurden von bastelwütigen Jungen geradezu aus den „Woolworth“-Regalen gerissen. „Airfix“ – zuvor für Taschenkämme bekannt – wagte danach weitere Bausätze.


Puerto Rico

Als das Magazin „Trödler“ 1994 „Die Faller AMS Geschichte“ druckte, stand dort über die Geburt des H0-Slotcar der Satz: „So benötigen drei Engländer auf Puerto Rico ganze vier Jahre, um leistungsfähige Elektromotoren soweit zu verkleinern, dass sie sie in HO-Autos einbauen können“. Gemeint war die Erfindung des Vibrationsantriebs – ein weiterer Erfolg, als dessen Vater bekanntlich Derek Brand gilt.


Die Ortsangabe „Puerto Rico“ verblüfft, stimmt aber. Im Jahr 1953 lautete die offizielle Anschrift von „Gowland & Gowland“: „No. 1, Box 32D, Rio Piedras, Puerto Rico, R.F.D.“. Auch in der Werkbiographie des Autodesigners Wellington Everett Miller findet sich der Hinweis, er habe von 1953 bis 1954 für „Gowland & Gowland“ in Puerto Rico an „Highway Pioneers“ gearbeitet.

Man fragt sich, was die Gowlands in der Karibik trieb? Es lag nahe, dort Bausätze für Freibeuter-Segelschiffe zu entwickeln - aber galt das auch für den Vibrationsantrieb? Wäre es nicht sinnvoller gewesen, eine Entwicklungsarbeit an der Grenze des damals technisch Möglichen im heimatlichen Kalifornien voranzutreiben, wo sich Bezugsquellen und Knowhow für alles nur Denkbare fanden?

Man könnte sich das Projekt „00-Slotcar“ als einen Rum-Cocktails sippenden „Aktiv-Urlaub“ unter Palmen vorstellen – die Belohnung für bahnbrechende Erfolge. Andererseits: in Puerto Rico (das bis heute faktisch eine US-Kolonie ist) entfielen ab 1952 für US-Unternehmen alle Mindestlohn-Begrenzungen und sämtliche Steuern. Dieser „tax heaven“ zwang US-Firmen geradezu auf die Insel. Dort brachte er allerdings nur wirtschaftliches Schein-Wachstum, ohne – wie eigentlich erhofft - die Zahl der Arbeitslosen und Hungernden zu verringern. Im Gegenteil: deren Zahlen stiegen. Das wirtschaftlich taumelnde Insel-Reich hatte das leuchtende Gegenmodell zum sozialistischen Kuba werden sollen. Es blutete aus.

Vermutlich gefiel den Gowlands, dass US-Unternehmen, die nach 1954 ihre Niederlassung in Puerto Rico wieder aufgaben, die dort erzielten Gewinne steuerfrei in die USA transferieren konnten. Bekannt ist, dass sie - während Brand das 00-Slotcar entwickelte - ihr Unternehmen an den US-Anwalt Carl Waldeck Robinette verkauften. Bekannt ist auch, dass Brand in Robinettes Tochterfirma „Crafco, Inc.“ die kleinen Slotcars und deren Bahn zur Marktreife brachte. Bemerkenswerterweise verschweigt das US-Patent des Vibrationsantriebs Brand als Erfinder (US 3124902 A, angemeldet am 16. November 1959). Es ist eingetragen auf Douglas Kelvin Gowland und Carl W. Robinette, beide mit gleicher Adresse: nun wieder im kalifornischen Santa Barbara.

Man wüsste gerne, aus welchen Quellen der erwähnte „Trödler“-Artikel schöpfte. Denn nimmt man ihn beim Wort, dann hatten die Gowlands und Brand bereits 1954 mehr als nur eine Ahnung vom Marktpotential des Slotcar. Was sie auf die Idee brachte...? Vielleicht war der Auslöser ein Artikel in der Dezember-Ausgabe des einflussreichen britischen Fachblatts „Model Maker“. Dort beschrieb ein gewisser T. E. Tebbutt erstmals elektrisches Railracing mit Geschwindigkeitsregelung.

Erst zwei Jahre später drängten die New Yorker Spielwaren-Händler „Polk Brothers“ ihren britischen Modellauto-Lieferanten Fred Francis zur Herstellung eines elektrischen Slotcar. Was Francis dann 1957 als „Scalextric“ vorstellte, war in 1:27 und holperte unter schweren Metallkarossen auf wabbeligen Gummischienen. Als Stromabnehmer diente ein fünftes Rad unter dem Fahrzeug. Das wird heute als Durchbruch des Slot racing gefeiert und - wirtschaftlich betrachtet - war es das auch. Rückblickend wirkt „Scalextric“ in der Anfangsphase jedoch weniger überzeugend konzipiert, als Brands „Playcraft Electric Highways Road System“ beim Produktionsbeginn ein Jahr später.

Faller-Forscher wird möglicherweise interessieren, dass der Vibrationsantrieb in der BRD patentiert war.



Aurora

Es folgte die oft erzählte Geschichte, wie Brands „Vibratoren“ bei „Mettoy / Playcraft“ in England floppten und wie sie 1960 unter „Auroras“ PR-Genie Donald „Bill“ Silverstein in den USA die Regale leerfegten. In dieser Geschichte wird gerne übersehen, dass der Vibrationsmotor für den bedächtigen Straßenverkehr auf 00-Modelleisenbahn-Anlagen konzipiert war. Silversteins Motorsport-Konzept überforderte diesen Antrieb. Produkt und Marketing klafften auseinander.

Von „Crafco“ wechselte Brand zu „Aurora“. Drei Jahre nach dem Vibrationsantrieb präsentierte er dem Handel dort die Lösung aller Probleme: den „Thunderjet 500“. Und nun war Brand auch der Patent-Inhaber, zusammen mit „Aurora“-Chef Joseph E. Giamarrino (US Patent No. 3243917 A).

Was immer Brands finanzielle Vereinbarungen mit „Aurora“ gewesen sein mögen: mit dem Flachanker hat er Geld verdient. Der wirbelnde Pfannkuchen gilt als wirtschaftlich erfolgreichster Slotracing-Antrieb aller Zeiten. Zum Vergleich: der „Vibrator“ brachte es auf 1,5 Millionen verkaufte Exemplare. Beim Flachanker kann man (bislang und Kopisten mitbedacht) von mehreren zehn Millionen ausgehen. Interessant wäre, die Zahl der in H0-Slotcars verbauten Blockmotoren zu wissen.

Brand dürfte damals bei „Aurora“ die Rolle des Chefentwicklers zugefallen sein. Welche Zuständigkeiten er genau hatte, wissen wir nicht. Sein langjähriger Mitarbeiter Andy Yanchus lobt Brand in einem kurzen Nachruf als angenehmen Vorgesetzten. Das H0-Batmobil (Markteinführung 1966) habe er ebenso persönlich gestaltet - wie zuvor die Karossen der ersten Autos mit Vibrationsantrieb. Weniger bekannt ist, dass Brand für „Aurora“ ein Kneipenspiel mit kleinen hölzernen Kegeln modifizierte. Auch dies machte Umsatz.

In jene Jahre fällt das US-Patent 3561650 A. Es gilt einem, von Brand erdachten, Flüssigseife-Spender. Die Patentbeschreibung erlaubt für einen kurzen Moment den Blick in das enthemmte Gehirn eines Dauerkreativen. Sie erläutert, welch ein Segen moderne Flüssigseife darstellt und verweist dann darauf, welche Unfallgefahr dagegen von einem altmodischen Stück Seife ausgeht, das irgendwo auf dem Boden liegt... Das Grinsen zwischen den Zeilen ist unübersehbar.

Als sich die „Aurora“-Gründer Ende der Sechziger Jahre zurückzogen, verließ auch Brand bald das Unternehmen. Die neuen Besitzer holten Jim Russell, dessen eigene  Firma „Russkit“ gerade in Konkurs gegangen war. Russell sollte bei „Aurora“ Slot racing in 1:32 zu etablieren. Das aber misslang ebenso, wie zuvor unter Brand bereits eine Produktreihe gescheitert war, die den Thunderjet-Motor in 1:48-Autos platzierte. Zeitgleich eingeführt mit dem T-Jet in H0, war das größere Bahnsystem vom kleineren Schwestermaßstab überrollt worden. Die 1:48-Schienen haben bei Stromleiter und Schlitz die gewohnten H0-Abmessungen, sind jedoch etwas breiter und noch heute in der H0-Drag-Szene offenbar sehr beliebt.

Erfolgreich war Russell mit der Neupositionierung des H0-Bereichs als “Aurora Factory Experimental” (AFX). Während für die größeren Maßstäbe in den USA die Goldenen Jahre des Slotracings zu Ende gingen, wurde der deutliche Qualitätssprung bei AFX vom H0-Markt honoriert.

Auch der Aufbau einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Downey, Kalifornien gelang. Weit weg vom Firmensitz in New York erfand dort ein Meteorologie-Student das Prinzip des “Gplus”. Konkurrierende Entwickler im Stammhaus an der Ost-Küste konterten mit “Magnatraction”. Aus Sicht des Handels war der “Gplus” jedoch das wesentlich überzeugendere Produkt und das Schicksal von Brands Flachanker damit besiegelt.

Auch wenn der „Gplus“ noch einmal richtig Geld in die Kassen spülte: die Bilanz stimmte nicht. Seit dem Abgang der Gründer gab „Aurora“ mehr Geld aus, als das Unternehmen verdiente. Das konnte nicht verhindern, dass sich die Zeiten änderten. Modellbau und Slotracing rückten bei der nachwachsenden Generation in den Hintergrund. “Revell“, zum Beispiel, musste 1978 einen Nettoverlust von 2,5 Millionen Dollar hinnehmen.


Marvin Glass & Associates

Marvin Glass war 1914 in einer Vorstadt von Chicago zur Welt gekommen. Ein Sohn deutscher Emigranten und ein Träumer. Sein Vater verhöhnte ihn öffentlich als Schwächling. Mit 27 Jahren gründete dieser Träumer in Chicago “Marvin Glass and Associates“. Dies wurde die weltweit führende Firma für Spielzeug-Entwicklung: Sie machte Glass zum Multimillionär.

Im März 1960 veröffentlichte die „Saturday Evening Post“ ein Portrait über Glass. Leser, die vermutet hatten, Spielzeugdesign sei ein Traumjob für tiefenentspannt vor-sich-hin bastelnde Tüftler, sahen sich mit einer hochneurotischen und paranoiden Welt konfrontiert. Es ging um Erfolgsdruck durch Entwicklungskosten im meist sechsstelligen Bereich und um Konkurrenten, die Ideen ausspionierten, um sie zu kopieren.

“Es ist, als sei man während des Krieges im Untergrund“, stöhnte Glass gegenüber der „Saturday Evening Post“. Sämtliche Türen seiner – festungsartig gesicherten - Firma besaßen zwei oder drei Schlösser. Die wurden regelmäßig gewechselt. In der Entwicklung befindliche Produkte kamen über Nacht in einen der beiden zimmergroßen Tresore. Wer als Hersteller eine Entwicklung des Glass-Teams sehen wollte, hatte vorher zu unterschreiben, dass er dieses Produkt nicht kopieren werde.

Glass selbst wohnte praktisch in seinem Büro, verzichtete seit 15 Jahren auf Urlaub und schlief nie mehr als fünf Stunden pro Nacht. Er rauchte täglich drei Päckchen Zigaretten und etwa ein Dutzend Zigarren, befand sich in Psychoanalyse, hatte drei Ehen hinter und die vierte noch vor sich. Glass starb 1974 mit nur 60 Jahren.

Im Umgang mit seinen Mitarbeitern war er loyal gewesen und finanziell „chronisch großzügig“. Andererseits galt es bei “Marvin Glass and Associates“ als selbstverständlich, dass man bei Bedarf tagelang rund um die Uhr arbeitete und auf Schlaf verzichtete. Bereits die „Saturday Evening Post“ berichtete von Nervenzusammenbrüchen. Der folgenreichste geschah zwei Jahre nach dem Tod des Firmengründers. Im Juli 1976 erschoss ein allseits beliebter Spielzeug-Designer mit angenehmen Umgangsformen in der Firma zunächst drei Kollegen. Zwei weitere verwundete er schwer und tötete dann sich selbst.

Patentanmeldungen zeigen, dass Derek Brand spätestens ab 1972 für „Marvin Glass & Associates“ arbeitete. Unter seiner Mitwirkung entstand dort eine Modellautorennbahn ohne Schlitz (US3774340 A). Es folgte, drei Jahre später, ein Mechanismus zum elektrischen Öffnen von Vorhängen, dann eine elektronische Zielvorrichtung für Ballerspiele in Spielhallen, eine Malerrolle mit automatischer Farbzuführung, eine Dusche für Puppen, ein automatischer Toaster (für 1:1-Menschen), eine verbesserte Slotracing-Schiene und eine vibrierende Zeichenmaschine als Spielzeug.


Derek & Derek

War es eine Reaktion auf den Amok-Lauf bei „Marvin Glass & Associates“, dass Brand im Jahr 1977 mit seinen Söhnen Derek R. und Kenneth J. ein eigenes Entwicklungsbüro gründete? Unter dem Firmennamen „Derek & Derek“ entstand dort ein elegantes Chassis für ein H0-Slotcar, bei dem pro Pol eine einzige Feder die Kohle auf den Kollektor drückt und gleichzeitig den dazugehörigen Schleifer auf den Stromleiter der Fahrbahn (US-Patent 4295295 A).

Ebenfalls Ende der Siebziger baute Brands Familienbetrieb für „Aurora“ ein neues Chassis – schneller, als all seine Vorgänger. Doch „Aurora“ sah sich nach mehreren Besitzerwechseln, Umsatzeinbrüchen und Missmanagement nicht mehr in der Lage, die Neuentwicklung in den Markt zu bringen. Die dazu nötige TV-Werbung war ebenso unbezahlbar geworden, wie der Hindernislauf durch die zahlreichen neuen und verschärften Sicherheitsprüfungen. Die Kosten für Fernsehwerbung hatten sich ohnehin stets in absurden Dimensionen bewegt. Schon im Weihnachtsgeschäft 1961 investierte „Aurora“ von den acht Millionen Dollar Jahresumsatz eine Million in TV-Werbespots.

Das eigentlich für „Aurora“ konzipierte Chassis der Brands ging an den Konkurrenten, der allerspätestens damit die Geschwindigkeitsschlacht im Kinderzimmer gewonnen hatte. Es kam 1981 auf den Markt als „Tyco 440“/„Magnum“. Der Nachfolger „440x2“ stammte dann ebenso aus der Familie Brand, wie das „Tyco US1 Electric Trucking“ mit seinen be- und endladbaren Lkw.

Als „Aurora“ im Frühjahr 1983 Konkurs anmeldete, war die Firma bereits fünf Jahre nicht mehr aktiv gewesen. Seit 1960 hatte sie über 100 Millionen H0-Slotcars verkauft.

Derek Albert Brand starb am 12. Mai 2012 mit 85 Jahren an den Folgen von Alzheimer. Auf einem späten Foto lächelt der rundliche Mann mit dem Walross-Schnauzer und wirkt zufrieden. Das kann man verstehen. Die Behauptung, dass sein Lebenswerk immense wirtschaftliche und kulturgeschichtliche Folgen hatte, wäre fast schon eine Untertreibung.

- HansHH






ANMERKUNGEN & LINKS



GOWLANDS MAXWELL
Möglicherweise gab es auch eine Version, bei der Zündplättchen knallten, wenn sich das Auto faltete. Gowland und „Revell“ brachten 1951 noch einen „Ford Model T“ heraus, ebenfalls in 1:16 und mit ähnlicher „action“.

http://www.avkits.net/kit50/revell/1951/..._pull.html


JACQUE FRESCO
Fresco verließ „Precision Specialties“/„Revell“ bald nach der Gründung wieder. Anlass war möglicherweise, dass er 1942 zum Militär eingezogen wurde. Nach dem Krieg arbeitete er als Industriedesigner, verstand sich aber in späteren Jahren immer stärker als Revolutionär. Während diese Zeilen entstehen, feiert er seinen 99. Geburtstag und fordert den totalen Umbau unserer Gesellschaft - weg von Geld und Kapitalismus und hin zu einer gerechteren Verteilung unserer natürlichen Ressourcen. Frescos Idealwelt ist leider abschreckend steril.

https://www.youtube.com/watch?v=KphWsnhZ4Ag


WOKING
Die Kleinstadt in der Grafschaft Surrey war entstanden aus einem aus Dorf mit Bahnhof an der Eisenbahnlinie zum Überlauf-Friedhof für London. „Überlauf-Friedhof“ bedeutete: wenn Londons Gräber belegt waren, verlagerte man Neuankömmling mit der „Necropolis Railway“ 48 Kilometer hinaus aufs Land zum „Brookwood Cemetery“. Die „Necropolis Railway“ besaß in London einen eigenen Bahnhof neben der Waterloo Station. Für Särge gab es spezielle Fahrkarten. Heute ist Woking eine Schlafstadt für Pendler, die in London arbeiten und die schnelle Bahnverbindung schätzen. Zu Gowlands Zeit aber gab es in Woking eigentlich nichts Bemerkenswertes, außer einem Krematorium und einer Brauerei. Dass dies noch lange so blieb, haben Douglas Adams („Per Anhalter durch die Galaxis“) und John Lloyd 1983 für alle Zeit festgehalten in ihrem Buch „The deeper meaning of Liff“ (deutsch: „Der Sinn des Labenz“). Adams und Lloyd verliehen dort Ortsbezeichnungen an all jene Sachverhalte, Gefühle und Gegenstände, die im Englischen noch keinen Namen trugen. „Woking“ bedeutete bei ihnen: „In der Küche stehen und sich fragen, was man da eigentlich wollte?“. Wie Gowland und Brand vor ihm, emigrierte übrigens auch Douglas Adams später ins kalifornische Seebad Santa Barbara. Sein Kollege H. G. Wells hatte die Erfahrung „Woking“ (er lebte dort einige Zeit) verarbeitet, indem er den Ort 1898 in „Krieg der Welten“ durch Außerirdische vernichten ließ.


POLYSTYOL
Auf „Youtube“ findet man einen französischen Werbefilm für Polystyrol aus dem Jahr 1958: „Le Chant du styrène“. Der Kurzfilm zeigt unter anderem die Produktion einer Spitzguss-Karosserie im Maßstab 1:24. Regisseur war das Nouvelle Vague-Genie Alain Resnais („Hiroshima, mon amour“, „Nächstes Jahr in Marienbad“, „Mein Onkel aus Amerika“). Die Texte stammten von Raymond Queneau, der im folgenden Jahr den durchgeknallten Beinahe-Roman „Zazie dans le métro“ veröffentlichte (den dann wiederum Louis Malle kongenial verfilmte).

https://www.youtube.com/watch?v=Pvl4h8vdGFA


BRAND & REVELL
Von Brand stammte im Programm von „Revell“ ein „Austin-Healey 100-Six“ in 1:25, der unter Standmodell-Bastlern sehr geschätzt wird.

http://www.modelroundup.com/v/vspfiles/p...1202-2.jpg


FLACHANKER
Das Innenleben alter H0-Lokomotiven zeigt bisweilen als Antrieb einen senkrecht rotierenden Flachanker. Die Frage ist, ob solche Motoren vor 1963 verwendet wurden – ob Brand dort also möglicherweise seine Inspiration fand für den „T-Jet“?

http://www.hp-pfeiffer.de/11_uebes/verha...rzt01.html


PLAYCRAFT
Seltsamerweise benutzte der Schriftzug des „Playcraft Electric Highways Road System“ eine ähnliche „Wild West“-Schrift wie Jahre zuvor Brands „Highway Pioneers“.



AURORA-MONSTER
Während der Flachanker seine Erfolgsgeschichte schrieb, startete der Marketing-Stratege Bill Silverstein bei „Aurora“ noch einen zweiten Boom. Gegen hausinterne Widerstände setzte er 1961 „Frankensteins Monster“ als Bausatz durch. Kino-Monster waren, neben Modellautos, das andere Thema, das USamerikanische Jungen damals faszinierte. Obwohl „Aurora“ anschließend täglich bis zu 8000 Frankensteine produzierte, überstieg die Nachfrage zeitweilig die Kapazitäten. Bald wankten und stapften weitere Monster ins Sortiment, später Comic-Superhelden und dann alles, was sich in aktuellen TV-Serien gerade zur Vermarktung als Bausatz anbot.


MARVIN GLASS
Das Portrait in der „Saturday Evening Post“:

http://secretfunspot.blogspot.de/2008/06...maker.html
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#2
AURORA 1:32
Da mir Brands Zuständigkeiten bei „Aurora“ nicht klar sind und um mich auf das Wesentliche zu beschränken, habe ich darauf verzichtet, die Geschichte des T-Jets und seiner Ableger ausführlicher zu behandeln. Entsprechendes gilt auch für das 1:32-Engagement von „Aurora“. Das ist allerdings etwas sehr knapp dargestellt. Laut Bob Beers’ „Complete Color Guide“, kaufte „Aurora“ den Hersteller „K&B“ und vermarktete dessen Produkte und weitere eingekaufte Komponenten erstmals 1965 als „Aurora 1/32 Big Car Racing“. Diese Fahrzeuge erwiesen sich als nicht konkurrenzfähig. Ab 1966 lieferte man aus eigner Produktion - ebenfalls mit nur geringem Erfolg. Der erneute Anlauf des Jahres 1970 war demnach der zweite oder – je nach Zählung – sogar der dritte Versuch, sich in 1:32 zu etablieren. Auch er wurde, wie erwähnt, ein Flopp.

- HansHH
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